Buchrezension | „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins

„Wer ein Christ sein will, der steche seiner Vernunft die Augen aus.“ Dieses Zitat von Martin Luther fasst die Essenz von Dawkins „Der Gotteswahn“ perfekt zusammen. Der renommierte Evolutionsbiologe offenbart in seinem Bestseller den unüberwindbaren Graben zwischen Religion und Vernunft. Dabei scheut er keine klaren Worte und eindeutige Positionen. Sein Buch ist ein Manifest der Wissenschaft, in der Religion keinen Platz hat. Keinen Platz haben darf. 

Diskussionen über Religion mit gläubigen Menschen haben selten einen befriedigenden Ausgang. Man kann sich den Mund fusselig reden, Argumente vorbringen oder auf Polemik zurückgreifen: Am Ende kommt stets ein Dogma, dem mit Rationalität nicht beizukommen ist und dass jeden vernunftgeleiteten Disput ad absurdum führt. „Gottes Wege sind unergründlich“ wäre so ein Pseudoargument, bei dem ich mir oft genug die Haare gerauft habe. Mit diesem Satz stellt sich der oder die Gläubige einen argumentativen Blankoscheck aus. Für mich wirkt es eher wie eine absolute Kapitulation, bei der man den Kopf in den Sand steckt und sich unsichtbar wähnt. 

Doch auch mir haben immer wieder stichhaltige Argumente gefehlt. Oftmals hatte ich das unbefriedigende Gefühl „aus dem Bauch“ zu argumentieren. In diesem Sinne ist „Der Gotteswahn“ ein unersetzbares Arsenal an wissenschaftsbasierten Argumenten gegen die Religion. Aber auch für die Begegnung der heute leider wieder aktuellen Wissenschaftsskepsis bietet dieses Werk wahnsinnig viele spannende Ansätze. 

Genügt es nicht zu sehen, dass ein Garten schön ist, ohne dass man auch noch glauben müsste, dass Feen darin wohnen?“ Douglas Adams, britischer Schriftsteller

Der Schöpfer-Gott: Unwahrscheinlicher als ein Dinosaurier mit Laseraugen

Der Biologe vertritt die einleuchtende Position, dass die Existenz Gottes „eine wissenschaftliche Hypothese ist wie jede andere.“ Und auch wenn eine Hypothese sich nur schwer oder sogar überhaupt nicht nachprüfen lässt, so haben gewisse Annahmen eine höhere Wahrscheinlichkeit als andere. 
 
Demnach können wir die Lebensweise der Dinosaurier zwar niemals in der Praxis überprüfen. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede Annahme darüber gleich wahrscheinlich ist. Aufgrund archäologischer Funde ist es beispielsweise naheliegend, relativ konkrete Aussagen über ihre Größe und Ernährungsweise zu treffen. Über die Farbe ihrer Haut können wir dagegen wenig Konkretes sagen. Und dass Dinosaurier Laser aus ihren Augen schießen konnten, werden wir zwar niemals durch einen Realitätscheck widerlegen können. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist jedoch FAST null. 

Genau so verhält es sich mit der mutmaßlichen Existenz von Gott. Das Spektrum beginnt bei „Stark theistisch“ mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent, dass Gott existiert. Oder mit den Worten von Carl Gustav Jung: „Ich glaube nicht, ich weiß.“ 50 Prozent stehen laut Dawkins für einen absolut unparteiischen Agnostizismus. „Gottes Existenz und Nichtexistenz sind genau gleich wahrscheinlich„. Das gegenüberliegende Ende des Spektrums räumt der Existenz Gottes eine 0-prozentige Wahrscheinlichkeit ein. Ähnlich wie Jung „weiß„, dass es einen Gott gibt, „weiß“ man hier, dass er nicht existiert. 

Vor diesen Überlegungen hatte ich mich zu den Agnostikern gezählt. Hawkins hat lediglich 72 Seiten benötigt, um mich vom de facto Atheismus, dem auch er anhängt, zu überzeugen: Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, knapp über null. „Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Gott existiert, und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn nicht gibt.“ Agnostisch sei er „nur in dem gleichen Ausmaß wie gegenüber der Frage, ob unter meinem Garten Feen leben.“ 

„An die Wissenschaft muss man genauso glauben wie an Gott“

Dieses wissenschaftsskeptische Pseudoargument begegnet uns gerade in der heutigen Zeit wieder bedenklich oft. Wie so oft bei solchen Diskussionen, kann man sich von der scheinbaren Logik dieses Arguments zunächst überrumpeln lassen. So seien Wissenschaftler in ihrem unerschütterlichen „Glauben“ an die Wissenschaft selbst fundamentalistisch. 

Darauf gibt Dawkins eine glasklare Antwort: „Wenn ich sage, die Evolution sei wahr, bin ich nicht fundamentalistischer, als wenn ich behaupte, dass Neuseeland auf der Südhalbkugel der Erde liegt. Wir glauben an die Evolution, weil die Belege dafür sprechen, und wir würden sie von heute auf morgen aufgeben, wenn sie durch neue Belege widerlegt würde. So etwas würde kein echter Fundamentalist sagen.

Schwarzweiß Portrait Martin Luther

Bild: „Die Vernunft ist das größte Hindernis in Bezug auf den Glauben, weil alles Göttliche ihr ungereimt zu sein scheint, dass ich nicht sage, dummes Zeug.“ Martin Luther mit beeindruckend ehrlichen Worten für einen überzeugten Christen.

Die Motte in der Flamme

Ein Gedankenspiel, welches den Unsinn von Religion aus evolutionärer Sicht zu verstehen versucht, möchte ich besonders herausheben:

In der Regel ist die Natur stets auf die höchste Ökonomie und Effektivität ausgerichtet. Was nicht für das Überleben einer Spezies unbedingt notwendig ist, wird von der natürlichen Selektion gnadenlos gestrichen. In diesem Sinne ist die ressourcenhungrige (ob zeitliche, finanzielle oder geistige Ressourcen) und oft genug auch tödliche Religion unlogisch. Und doch findet man sie in allen Völkern der Erde. Warum?

Dawkins fragt: Was wäre, wenn der Hang zur Religion beim Menschen lediglich eine Abwandlung von etwas anderem sei? Etwas, dass ursprünglich einen Überlebensvorteil sicherte, dann aber zur Religion pervertiert sei?

Als Beispiel führt der Biologe die Motte auf, die scheinbar selbstmörderisch in eine Kerzenflamme fliegt und dabei umkommt. Tatsächlich stammt dieses seltsame Verhalten von der Tatsache, dass manche Insekten sich über Gestirne orientieren. Sie gleichen mit ihren Komplexaugen den Einfallswinkel des Lichts der unendlich weit entfernen Himmelskörper ab und können so weite Strecken navigieren – in perfekten Linien. Das Ganze funktioniert nicht mit einer räumlich nahen Lichtquelle wie der Kerze. Entsprechend wird der Orientierungssinn der Motte verzehrt und sie fliegt in einer immer enger werdenden Spirale mitten in die Flamme. Da künstliches Licht eine für die Evolution völlig neue Erscheinung ist, können Insekten wie die Motte sie nicht einordnen. 

Was in diesem konkreten Fall als kontraproduktiv erscheint, ist in Wirklichkeit ein seit Jahrtausenden bewährtes Navigationsmittel der Insekten und damit überlebenswichtig.  

Über Menschen, die sich wegen Religion gegenseitig umbringen, staunen wir (zumindest die nicht Gläubigen oder Gemäßigten) nicht weniger als die Motte, die sich in die Flamme stürzt. Dawkins stellt die Frage: „Wenn Religion also das Nebenprodukt von etwas anderem ist, was ist dann dieses andere?“

Eine anerzogene Fabel?

Der Autor zählt mehrere mögliche Antworten auf. Als einen der wahrscheinlicheren Lösungsansätze bringt Dawkins die evolutionsbedingte Leichtgläubigkeit der Kinder ins Spiel. Für sie stelle das blinde Vertrauen bei Autoritätspersonen wie den Eltern einen Überlebensvorteil dar: „Spring nicht von der Klippe“ oder „dieses Tier ist gefährlich„. Ein Kind müsse es nicht verstehen, um zu gehorchen. Entsprechend handelten Kinder oftmals wie gehorsame Soldaten oder ordentlich programmierte Computer. Religionsführer wüssten genau über die Anfälligkeit der Kindergehirne Bescheid. Und auch darüber, wie wichtig eine frühe Indoktrination sei, so Dawkins. 

Entsprechend könne die Affinität zur Religion durch eine frühkindliche Erziehung geprägt sein. Diverse anthropologische Arbeiten stützen diese These. So kämen alle religiösen Überzeugungen denen, die nicht mit ihnen aufgewachsen sind, seltsam vor. Als anschauliche Anekdote erzählt Dawkins vom Anthropologen Pascal Boyer, der das Volk der Fan in Kamerun erforschte. Als er bei einem Essen im Cambridger College von dem Glauben des Volks an fliegende Zauberer, die ihre Opfer verzehren, erzählte, drehte sich ein katholischer Theologe zu ihm um und sagte: „Genau das macht die Ethnologie so faszinierend aber zugleich auch schwierig. Sie muss erklären, wie Menschen an solch einen Unsinn glauben können.“ Die Ironie seiner Aussage hat der gute Christ vermutlich nicht einmal bemerkt. 

Dawkins wird der Komplexität des Themas gerecht

Wie meine Leser*innen bereits gemerkt haben werden, ist das ganze Thema dermaßen groß und komplex, dass man es kaum verkürzt darstellen kann, ohne dem Autor unrecht zu tun. Nur ein großer Verstand wie der von Dawkins kann die Evolutionstheorie für Laien nachvollziehbar und anschaulich als Basis für seine Religionskritik verwenden. 

Dabei spricht er diverse Themen an, die an sich schon ein Buch füllen könnten. So widerlegt er gekonnt diverse Argumente für die Existenz Gottes wie die „Gottesbeweise“ (Thomas von Aquin), Argumente der Heiligen Schrift, Argumente der Schönheit („Die Welt ist zu schön und perfekt, um zufällig entstanden zu sein.“) und so weiter. Er erklärt, warum gläubige Wissenschaftler niemals um einen inneren Widerspruch herum kommen können und dass von Religionsbefürwortern gerne bemühte prominente Beispiele wie ein „gläubiger“ Einstein („Gott würfelt nicht„) die Wahrheit verdrehen. Er beleuchtet die Wurzeln der Religion aus evolutionstheoretischer Perspektive, widerlegt das Argument, Religion sei der Ursprung der menschlichen Moral, geht ausführlich auf das menschenverachtende und vor allem frauenfeindliche Fundament des „Guten“ Buches ein und erklärt, warum Religion in der Tat gefährlich für unsere Gesellschaft sein kann (Unterwanderung der Naturwissenschaft durch Fundamentalismus, Abtreibungsgegner, Homophobie) und erklärt sogar, wie die „Mäßigung“ des Glaubens den Fanatismus fördert. 

„Der Gotteswahn“ ist ein Standartwerk für Religionskritiker, die ihre Behauptungen mit wissenschaftlichen Tatsachen stützen möchten. Es führt die Absurdität der Dinge, an die viele von uns glauben schonungslos vor Augen und entlarvt den Glauben an Gott als den „Wahn“, der er ist. Ein Nachschlagwerk, welches ich noch sehr oft in die Hand nehmen werde. 

FUN FACT: Die im Internet heute nicht mehr wegzudenkenden Memes gehen auf deinen Begriff von Dawkins zurück, der einen bestimmten Bewusstseinsinhalt bezeichnet. 

Mehr Denken – Weniger Glauben: Zur Richard Dawkins Foundation

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Richard Dawkins, Porträt

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