Buchrezension | Warum schweigen die Lämmer? Rainer Mausfeld

Das Sperrfeuer an Information aus unzähligen Quellen über unzählige Kanäle überfordert mich schon lange. Es fällt mir extrem schwer, den Status quo unserer Demokratie fundiert und umfassend einschätzen zu können. Entsprechend begab ich mich auf die Suche nach Büchern, die die vielen Puzzleteile in meinem Kopf in eine geordnete Bahn lenken könnten, um Klarheit und Struktur zu schaffen. Genau das gelingt  dem Buch „Warum schweigen die Lämmer?“ von Rainer Mausfeld, Professor an der Universität Kiel, Lehrstuhl für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung. Eine Pflichtlektüre. 
 
Im Kern ist das Werk eine Sammlung von mehreren Essays, Vorlesungen sowie Interviews, die sich allesamt um das Thema Demokratie und ihre systematische Aushöhlung durch neoliberale Eliten drehen. Mausfeld steht damit in Tradition von Denker*innen wie Noam Chomsky oder Ingeborg Maus, auf deren Werke er sich auch regelmäßig bezieht. 
 
Dabei ist sein Buch als Arbeitslektüre angelegt. Die Kapitel stehen für sich, der Rand ist breit genug für eigene Notizen und Gedanken (was ich mit Freuden angenommen habe). Bei der Lektüre hatte ich stets einen Stift in der Hand, um die vielen Informationen hervorzuheben und eigene Analogien zu ziehen. 
 
Die besprochenen Themen erklären sich am besten anhand des Inhaltsverzeichnisses: 
 
  • Warum schweigen die Lämmer? Wie sich schwerste Kriegsverbrechen und Verletzungen moralischer Normen für die Bevölkerung unsichtbar machen lassen
  • Die Angst der Machteliten vor dem Volk. Demokratiemanagement durch Soft-Power-Techniken
  • Die neoliberale Indoktrination. Gespräch mit Jens Wernicke 
  • „Wer das Land besitzt, soll es auch regieren“ Repräsentative Demokratie als Mittel der Demokratievermeidung
  • Massenmediale Indoktrination. Gespräch mit Jens Wernicke
  • Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt. Die Einschränkung des öffentlichen Debattenraumes und die Ächtung von Dissens
  • Phantom-Mitte – Kartellparteien – Bundestagswahl. Kommentar
  • Rassismus, Kapitalismus und die Wertegemeinschaft der „Herrenmenschen“. Gespräch mit Marko Junghänel
  • Demokratie und weiße Folter. Wie die Psychologie dazu beitrug, Folter unsichtbar zu machen
Lasst euch von Begriffen wie Elitendemokratie oder Kartellparteien nicht abschrecken. Mausfeld könnte den pseudokritischen Regimegegnern aus dem Querdenker-Umfeld nicht ferner stehen. Auch ist sein Werk keine sozialistische Kritik am Kapitalismus, sondern ein Manifest für die wahrhaftige und humanistische Form der Demokratie, die aktuell de facto nicht existiert. Die komplexen Zusammenhänge werden nachvollziehbar und stets durch Fachliteratur und andere zuverlässige Quellen gedeckt dargelegt. 
 

Muss man aushalten wollen

Seid gewarnt – das Werk ist alles andere als ein feel-good-read. Wer sich auf dieses Terrain begibt, sieht sich mit grundlegenden und gleichzeitig deprimierenden Wahrheiten konfrontiert, die in unserer Bildung, Medien und sonstigen Lebensbereichen in dieser Form nur selten ausgesprochen werden. Wir müssen akzeptieren, dass unsere westliche Gesellschaft für die von ihr zum Dogma der Menschheit ausgerufenen Neoliberalismus seit Jahrhunderten einen ausgefeilten Propagandaapparat betreibt, der die Ruchlosigkeit, mit der die westliche Gesellschaft ihre Ziele durchsetzt, kaschieren soll. Dabei sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eher die Regel als die Ausnahme. Angriffskriege, Demokratieabschaffung sowie Folter sind allesamt Werkzeuge dieses Repertoires. Denn im Kern steht die Einsicht, dass unsere aktuelle Form des Kapitalismus mit einer egalitären und humanistischen Demokratie nicht zu vereinbaren ist. 
 
Mausfeld ist die Wirkung seiner Worte durchaus bewusst. Das Nachwort formuliert es treffend: „Eine Lektüre der Beiträge dieses Buches wird Leserinnen und Leser vermutlich mit nicht angenehmen Gefühlen zurücklassen. Je nach Persönlichkeit und eigenen Lebenserfahrungen kann die Lektüre Gefühle der Deprimiertheit, Überwältigung, Ohnmacht oder Hoffnungslosigkeit hinterlassen oder Gefühle der Empörung, des Zornes oder des Aufbegehrens, vielleicht aber auch das Gefühl intellektueller Befriedigung, dass sich zuvor Fragmentiertes zu einem Sinnganzen zusammenfügt. Wie stets in solchen Situationen stärkerer Affekte müssen diese Gefühle ausgehalten, verarbeitet und verstanden werden, damit sie in unser psychisches Gesamtgefüge integriert werden können und produktiv ein Handeln leiten können.
 
Reiner Mausfeld Porträt und Zitat über den Neoliberalismus
 
Wer bereit ist, sich diesen komplexen und wenig erfreulichen Themen zu stellen, wird mit Einsichten belohnt, die sich mental wie von selbst auf unsere aktuelle gesellschaftliche Situation übertragen und plötzlich logisch ineinandergreifen.
 
In meinem nächsten Blogbeitrag möchte ich dies anhand der kommenden Bundestagswahl sowie dem entsprechenden Kapitel an einem konkreten Beispiel demonstrieren. In der Zwischenzeit sollte sich jeder politisch interessierte Mensch dieses Werk beschaffen. Auch wenn es schmerzt – es lohnt sich! 

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